Ernste Themen vor romantischer Kulisse

Bündnisgrüne laden zum Neujahrsempfang in Roßlauer Ölmühle.

MZ-Artikel vom 28. Januar 2012

ROSSLAU/MZ – Es war ein Experiment, was die Bündnisgrünen da wagten. Der Kreisverband Dessau-Roßlau erkor für den Neujahrsempfang erstmals nicht das Schwabehaus als die für diesen Anlass angestammte Lokalität aus, sondern betrat Neuland am nördlichen Elbufer.

Der Anblick mutet nachgerade romantisch an. Ein kleiner Bollerhandwagen mit Kindersitzchen steht vor der Tür. Der Sonnenschirm hätte tagsüber tatsächlich nützliche Dienste verrichten können. Aber das Fähnchen reckt sich kühn hinauf in den sternklaren Nachthimmel hinter dem Sichelmond. Als Anschrift ist die Roßlauer Hauptstraße 108a gewöhnungsbedürftig, als Adresse hingegen umso mehr angesagt und nachgefragt. Die Ölmühle baut sich imposant in der Dunkelheit auf, über vier Ebenen bis unters Dach erleuchtet. Nebenan plätschert leise die Rossel auf ihrem Weg hin zur Mündung in die Elbe. Der historische Fachwerkbau, heute als Mehrgenerationenhaus belebt und beliebt, macht Eindruck. „Wir sind überaus begeistert von diesen vielfältigen Angeboten für die Roßlauer Kinder, Jugendlichen und Senioren“, sagt Vorstandssprecher Christoph Kaßner nach einem Treppauf-Treppab-Rundgang durch das Haus. „Wenn wir in Dessau die Mittel für die ‚Soziale Stadt‘ doch so gezielt in das Soziokulturelle Zentrum Heideschule hätten lenken können, wäre da vielleicht Vergleichbares entstanden – an einem der sozialen Brennpunkte unserer Stadt“, bedauert Stefan Giese-Rehm. Der Stadtrat und Fraktionsvize von Bürgerliste/Die Grünen hat die Debatte direkt miterlebt, als die für die etwaige 2,5 Millionen-Investition nötigen Eigenmittel in Höhe von 800 000 Euro in der Stadt nirgendwo loszueisen waren.

Die Stadt Dessau-Roßlau nicht über ihre Mängel definieren will Christoph Kaßner, der aus dem Rheinland kam und sich heute als „Ossi mit Migrationshintergrund“ versteht. Das Potenzial seiner neuen Heimat zu nutzen, sieht er als Aufgabe in Victor Hugos Lesart von Zukunft: Für die Schwachen das Unerreichbare. Für die Furchtsamen das Unbekannte. Für die Tapferen die Chance.

Der Jahresrück- und -ausblick der Dessau-Roßlauer Grünen fällt grundsätzlich positiv aus, 2011 war „extrem grün“. Aus der außerparlamentarischen Position per Wählervotum im Frühjahr wieder in den Landtag Sachsen-Anhalts gekommen, haben sich die Bündnisgrünen ab Sommer intensiv mit Programmarbeit beschäftigt. „Wir sind in Sachsen-Anhalt die einzig wahre Opposition“, so Cornelia Lüddemann, in Personalunion Landtagsabgeordnete und Landesvorsitzende mit Seitenblick in die Runde der zum Neujahrsempfang versammelten Vertreter der anderen Parteien. Die hauptberufliche Politikerin ist Dessauerin. Und dieser liegt noch ein Weiteres am Herzen; ebenso eng wie schwer. Die Verwirklichung des zum Beschluss gereiften Landesprogramms „Gelebte Demokratie“. Die aktuellen Dessauer Ereignisse, wo im Kontext von Straftaten rechtsextremes Gedankengut öffentlich sichtbar wird, verlangen von echten Demokraten klares Gesicht. „Wir sind an der Schwelle“, so Lüddemann, „wo gutmeinende Presseerklärungen nicht mehr ausreichen.“ Jetzt gelte es, auf die Menschen zuzugehen, mit ihnen zu sprechen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sich zu bekennen für Demokratie und Toleranz, „von Gesicht zu Gesicht“.

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